Hans-Joachim Bress
Hans-Joachim Bress

Leserbrief zu LZ vom 24.4.19: „Im Krankenbett auf den Markt  –  Pflegekräfte demonstrieren erneut gegen Pflichtmitgliedschaft“

Die Forderung nach Abschaffen der Zwangsmitgliedschaft in der Pflegekammer Niedersachsen, greift viel zu kurz. Eigentlich gehört das IHKG des Bundes, „Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern“ das i.W. die Zwangsmitgliedschaft in Kammern für alle Gewerbetreibenden vorschreibt, abgeschafft!

Dieses Relikt des mittelalterlichen Zunftwesens, das alle zwischenzeitlichen Staatsformen und bisherigen Reformbemühungen überdauert hat, engt die individuellen Freiheitsrechte der Bürger unerträglich ein und steht inhaltlich im Widerspruch zu den Grundrechten. Damit die Politik sich dieser Aufgabe annimmt, müsste allerdings jedem Politiker überhaupt erst bewusst werden, dass sämtliche Gewerbetreibenden und Unternehmen, Landwirtschaften und Freiberufler automatisch und zwangsweise Mitglied einer Kammer sind und Zwangsbeiträge gemäß Satzung der jeweiligen Kammer zu entrichten haben. So kämpfen in der IHK Hamburg seit Jahren die „Kammerrebellen“ um die Abschaffung des Gebührenzwangs; an die Zwangsmitgliedschaft selbst haben sie sich jedoch noch nicht herangetraut. Gewiss erfüllen Kammern auch nützliche Funktionen und Aufgaben, aber keine, die nicht auch von freiwilligen Zusammenschlüssen und Verbänden zu leisten wäre.

Eigentlich könnte die Schöpfungsgeschichte der Pflegekammer in NDS geradezu musterhaft als lukrative Geschäftsidee für andere Branchen, Berufe und Bundesländer dienen – etwa so: Wir suchen uns zunächst eine Sparte aus, in der es möglichst viele Selbständige, aber noch keine entsprechende Kammer gibt. (Mir fielen da schon einige ein.) Sodann scharen wir einige Angehörige der ausgewählten Sparte um uns und beschließen, eine Kammer zu gründen. Vorab verteilen wir schon mal absehbar gut dotierte Posten: Präsident, Vorstand, Stellvertreter, Geschäftsführer, Sprecher, Referats-, Ausschuss- und Kommissionsleiter sowie diverse Zuarbeiter. Dann lassen wir uns als neue Kammer beim zuständigen Landesministerium registrieren. Damit sind wir eine Körperschaft öffentlichen Rechts und verlangen vom Finanzamt eine Liste aller Gewerbesteuerzahler mit der ausgewählten Berufsbezeichnung sowie deren versteuertes Einkommen. Die Benannten sind dann automatisch unsere Mitglieder. Die Höhe des Jahresbeitrags bemessen wir bedarfsgerecht freizügig nach dem jeweiligen Einkommen – anhand der vom Finanzamt übermittelten Liste. Schließlich informieren wir die Betroffenen per Rundschreiben über ihre neu erworbene Mitgliedschaft in der Kammer und stellen einen Jahresbeitrag in Rechnung. Und schon rollt der Rubel, bevor überhaupt irgendeine Leistung erbracht wurde. Eine wahrhaft tolle Geschäftsidee! Oder?

Hans-Joachim Bress

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